Es sei die „mystische Dimension, die die Papstwahl von politischen Wahlen unterscheidet“, so Thomas Neumann in seinem Blogbeitrag vom 23.04.2024. Das Gebet solle die Wahl, die selbst eine liturgische Handlung sei, leiten. Genauer gesagt geht es um den Beistand des Heiligen Geistes, der im Gebet erfleht wird. „Veni Creator Spiritus“ singen die wahlberechtigten Kardinäle, wenn sie in die Sixtinische Kapelle einziehen. Doch: Wie ist die Gegenwart des Heiligen Geistes im Konklave vorstellbar?
Neumann hat herausgestellt, dass ein Konklave nicht einfach ein säkularer Wahlakt ist. Es handelt sich um eine liturgische Versammlung, zu der die wahlberechtigten Kardinäle zu einer Zeit zusammenkommen, in der sich die Kirche, bedingt durch den Tod oder Rücktritt des bisherigen Papstes, in der Krise befindet.
Im Mittelpunkt der Liturgie steht die Anrufung des Heiligen Geistes, im Mittelpunkt der Krise steht die Einheit der Kirche. Sie soll durch die Wahl eines neuen Papstes überwunden werden. Dazu gibt es strenge Regeln, dazu bedarf es aber auch der zunehmenden Einmütigkeit der um den künftigen Kurs der Kirche ringenden Kardinäle.
So wie der Geist der Freundschaft eine politische Begegnung prägt – was nicht selten in einem Händedruck vor laufenden Kameras zum Ausdruck kommt – oder der Geist der Fairness ein Fußballspiel – für das es ungeachtet dessen strenge Regeln geben muss, so prägt der Geist zunehmender Einmütigkeit den Geist des Konklaves. Die Kardinäle werden in diesem Prozess zusammenwachsen. Geist und Recht widersprechen sich in dieser, vielleicht diesmal länger andauernden Wahlhandlung nicht.
Um die wachsende Einmütigkeit zu erreichen wird jede Art von Medien ausgeschlossen, durch welche von außen auf diesen Prozess Einfluss genommen werden könnte. Das Vertrauen gilt der Kraft des Gebets. In der Krisis der Sedisvakanz erflehen die Kardinäle den Beistand des Heiligen Geistes und nehmen damit die unbedingte Treue Gottes in Anspruch.
Es macht die Kraft des Gebetes aus, dass die Treue Gottes all jenen verheißen ist, die um den Heiligen Geist bitten (Lk 11,13). Lapidar heißt es bei Lukas: „Denn wer bittet, der empfängt.“ (Lk 11,10) und Matthäus schreibt: „Jeder, der bittet, empfängt“ (Mt 7,7). Rhetorisch wird diese Figur als Prolepse bezeichnet.
Michael Theunissen[1] hat in philosophischer Perspektive herausgestellt, dass der natürliche Zusammenhang, der zwischen Bitte und Gewährung besteht, nämlich: dass mit einer Bitte noch nichts über deren Gewährung entschieden ist, von Jesus auf den Kopf gestellt worden sei. Er spricht „von einer Bitte, deren bloße Tatsache ihre Gewährung nach sich zieht“ (330). Dies gebe den Blick frei auf die proleptische Struktur dieser einfachen Formel. „[D]er Ausschluß der Alternative von Entsprechung und Nichtentsprechung revolutioniert auch das natürliche Verhältnis von Gegenwart und Zukunft. […] Kann der Glaubende der Gewährung seiner Bitte gewiß sein, so bricht für ihn die Zukunft bereits mit der Gegenwart an“ (330). Zugleich kennzeichne die proleptische Struktur, dass die Zukunft sich nicht in Gegenwart auflöse. Der Unterschied von Gegenwart und Zukunft verschwinde nicht. „Es geht, genauer gesagt, um die Gegenwärtigkeit der Zukunft selbst.“ (331) In der dem Bitten inhärenten Zuversicht, nämlich: dass keine Bitte vorgetragen werde ohne an ihre Erhörung zu glauben (vgl. 334f.), werde der Zukunft eine Gewissheit zugemutet, „die nur dem Gegenwärtigen gebührt“ (332). Der Bittende „empfängt schon dadurch, daß er bittet; ihm wird bereits im Vollzug des Bittens real zuteil, worauf er aus ist.“ (332) Glaube ist nach Theunissen nichts Anderes als „die Selbstreflexion des unnatürlich einfachen Zusammenhangs zwischen der Bitte und ihrer Gewährung“ (335). Anders gewendet: Glaube ist das die Bitte des Bittenden tragende Vertrauen, dessen Grund die verheißene Treue Gottes ist.
Der Heilige Geist wirkt nicht, indem er das Handeln der Kardinäle ersetzt. Wählen müssen diese schon selber. Und dazu braucht es Regeln. Er wirkt auch nicht so, dass er einen Kandidaten benennt. Aber er bestimmt die Atmosphäre, in welcher das Konklave verläuft und richtet das Handeln der Kardinäle auf wachsende Einmütigkeit aus. Die Bitte um den Heiligen Geist bestimmt somit die situative Gerichtetheit des Handelns. Insofern lässt sich mehr über die Anrufung des Heiligen Geistes im Konklave sagen als nur, dass dessen in Anspruch genommene Gegenwart ein Mysterium sei.
[1] Michael Theunissen, ‚O αιϑτϖν λαμβάνει. Der Gebetsglaube Jesu und die Zeitlichkeit des Christseins, in: Ders., Negative Theologie der Zeit, Frankfurt a. M. 1991, 321–377.
Schreibe einen Kommentar