Unerlaubter Wein = ungültige Messe?! Kanonistische und liturgiewissenschaftliche Anmerkungen zu einer vermeintlich „simplen“ Gleichung

Eine Pressemeldung vom 5. Juni 2023[1], die von deutschen katholischen Medien am 16. Juni aufgegriffen wurde[2], sorgte kurzweilig für Aufsehen in der katholischen Welt: Der Erzbischof von Kansas City Joseph Naumann warnte die Priester in seiner Diözese vor dem Gebrauch unerlaubten Weines für die Feier der Eucharistie. Die Dramatik der Situation wird durch die Feststellung des Erzbischofs offensichtlich:

„for any number of years all Masses were invalid and therefore the intentions for which those Masses were offered were not satisfied, including the obligation pastors have to offer Mass for the people.“[3]

Aus kanonistischer und liturgiewissenschaftlicher Warte ergeben sich drei Fragenkreise: 1) Wie verhält es sich mit unerlaubtem Wein für die Feier der Eucharistie? 2) In welchem Zusammenhang steht die Gültigkeit des Sakramentes der Eucharistie mit der Gültigkeit des liturgischen Aktes Heilige Messe? Wie können in diesem Fall normative Entscheidungen begründet werden? 3) Warum folgert der Erzbischof von Kansas City aus der Ungültigkeit der Heiligen Messe die Nicht-Erfüllung der Messintentionen?

1) Wie sieht nun die geltende Rechtslage aus? Allein die höchste kirchliche Autorität kann bestimmen, was zur Gültigkeit eines Sakramentes erforderlich ist (vgl. c. 841 CIC/1983). Für die Frage der Gültigkeit eines Sakramentes sind drei Aspekte gemäß dem Armenierdekret des Konzils von Florenz zu beachten, die Materie, die Worte als Form und die Person des Spenders (DH 1312).

Im geltenden Gesetzbuch der römisch-katholischen Kirche finden sich in c. 924 §§1 und 3 die einschlägigen Bestimmungen zur Materie der Eucharistie:

„§1 Das hochheilige eucharistische Opfer muß mit Brot und Wein, dem ein wenig Wasser beizumischen ist, dargebracht werden.

§ 3 Der Wein muß naturrein und aus Weintrauben gewonnen sein und darf nicht verdorben sein.“

Die Grundordnung des Missale Romanum editio typica tertia bestätigt in den Nr. 319 und 322 die codikarischen Bestimmungen und fügt bezüglich des Weines deklarativ hinzu, dass keine Fremdstoffe beigemischt werden dürfen. In der von der Kongregation für Gottesdienst und Sakramentendisziplin im Jahr 2004 veröffentlichten Instruktion Redemptionis Sacramentum wird nochmals eingeschärft:

[…] Es ist streng verboten, Wein zu benützen, über dessen Echtheit und Herkunft Zweifel bestehen: Denn bezüglich der notwendigen Bedingungen für die Gültigkeit der Sakramente fordert die Kirche Gewißheit. Es darf kein Vorwand zugunsten anderer Getränke jedweder Art zugelassen werden, die keine gültige Materie darstellen.[4]

Bereits die Verwendung des Wortes muss (debet) in c. 924 §§ 1 und 3 weist auf eine zwingende Vorschrift hin. Zwar enthalten die Gesetzestexte keine Nichtigkeitssanktion, jedoch ergibt sich aus der dogmatischen Grundlegung der Normen durch das Trienter Konzil mit dem Verweis auf die Einsetzung der Materie (Brot und Wein) durch Christus selbst (vgl. DH 1642), dass eine andere Materie zur Ungültigkeit des Sakramentes führt.[5] Die Kirche schreibt sich, wie auf dem Trienter Konzil festgehalten, in der Frage der Materie eines Sakramentes entgegen c. 841 CIC/1983 nicht die Vollmacht zu diese zu ändern (DH 1728). Folglich handelt es sich in c. 924 CIC/1983 nicht um eine rein disziplinäre rechtliche Vorschrift, sondern um eine lehramtlich dogmatische Festlegung. Die darauf beruhenden explikativen Normen beziehen sich auf die biblische Terminologie, dergemäß es sich um die Frucht des Weinstocks handeln muss (Lk 22,18; Jo 15,1-8), womit z.B. Obstweine ausgeschlossen sind.[6] Traubensaft hingegen ist gültige, aber – es sei denn es liegt ein Dispens vor – unerlaubte Materie.[7]

In einem Rundschreiben vom 15. Juni 2017 empfiehlt die Kongregation für Gottesdienst und Sakramentendisziplin den Diözesanbischöfen Normen auf der Ebene der Bischofskonferenz über die korrekte Herstellung der eucharistischen Materien zu erlassen bzw. bestimmte Hersteller zu empfehlen.[8] Die deutschen Bischöfe haben bereits im Jahr 1976 eine Verordnung über den Gebrauch von Wein bei der Eucharistiefeier (Messwein) erlassen.[9] Diese wurde allerdings im Jahr 2014 auf Empfehlung des Ständigen Rates der DBK in fast allen Diözesen aufgehoben. Begründet wird dies mit dem gegenüber 1976 strikteren Lebensmittelgesetz in Deutschland, das die Reinheit des Weines den kanonischen Vorschriften gemäß sicherstelle. Ebenso erfolgt keine Approbation einzelner Messweinlieferanten mehr.[10] Dagegen besteht in den USA in den staatlichen Lebensmittelgesetzen eine Liste von 62 legalen Zusätzen für Wein.[11] Der Erzbischof von Kansas City erwähnt als unerlaubten Zusatz den Extrakt von Holunderbeeren.[12] Ohne Zweifel – unter Berücksichtigung der kirchenrechtlichen Bestimmungen – handelt es sich bei den Weinen in Kansas City um ungültige Materie. Soweit die Rechtslage.

Es kann jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass die Konsultoren der Studiengruppe zur Reform des Sakramentenrechts im Mai 1971 kontrovers über den Symbolgehalt des Weines und Brotes diskutierten.[13] Vor diesem Hintergrund sei auch auf den Azymenstreit verwiesen, und den ebenfalls aus orthodoxer Sicht biblisch belegbaren Symbolgehalt des gesäuerten Brotes auf der Grundlage von Mt 16,6. Die Konsultoren der Studiengruppe identifizieren die Schwierigkeit in den unterschiedlichen Regionen der Welt Weizen für die Hostien und Trauben für den Wein zu erhalten. Der vierte Konsultor schlägt nun vor, dass das sakramentale Zeichen nicht der Weizen sei, sondern das Brot als Grundnahrungsmittel der Menschheit.[14] Diese Frage wird dem heiligen Offizium vorgelegt. Die Antwort ist jedoch nicht überliefert. Vor dem Hintergrund der Einsetzung der Materie der Eucharistie durch Christus (DH 1642) und der fehlenden Vollmacht der Kirche die Materie eines Sakramentes zu ändern (DH 1728) dürfte die Antwort negativ ausgefallen sein. Allerdings wäre es weiterhin ein akademisch interessantes Unterfangen zu klären, was das signum sacramentale bei der Einsetzung durch Christus ist, die konkrete Materie Weizen und Wein aus Trauben, oder der biblische Symbolgehalt des Brotes als Grundnahrungsmittel und der Frucht des Weinstocks als im Mittelmeerraum verbreitetes und für ein feierliches Gastmahl typisches Getränk. Bei allen normativen Bezügen auf das Neue Testament stehen historische Entscheidungen darüber, was gelten soll, im Hintergrund (Getränk – Wein – palästinischer Rotwein – in Tongefäßen transportierter …). Was Jesus und die Apostel unter Wein verstanden, würden heutige Weinkenner und Weinkennerinnen nicht als besonders gelungenes Beispiel für das Getränk betrachten.

2) Die Frage des Zusammenhangs der gültigen Eucharistie mit der Gültigkeit der heiligen Messe ist aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive zu bearbeiten. Kanonistisch sei die Vorbemerkung erlaubt, dass vor einer rechtlichen Vereinnahmung der Liturgie gewarnt werden muss. Rechtliche und liturgische Akte müssen differenziert werden. „Ein juridischer Akt ist immer die Manifestation des Willens eines Subjektes. Eine liturgische Handlung erfolgt jedoch, wie c. 834 § 2 CIC/1983 festhält, immer im Namen der Kirche, folglich liegt kein personaler subjektiver Wille vor, sondern ein Handeln der Kirche. Sakramentalen Handlungen werden sichtbare und unsichtbare Elemente zugeschrieben, wobei allein die sichtbaren Elemente rechtlich fassbar und für den Kanonisten / die Kanonistin bezüglich Gültigkeit und Erlaubtheit verwendbar sind. Die spirituelle Finalität der liturgischen Handlungen übersteigt den materiell greifbaren Bereich einer juridischen Handlung. Letztlich hat der juridische Akt einen Effekt bzw. eine Rechtsfolge, die hic et nunc eintritt, während die liturgische Handlung und hier wieder besonders die Sakramente unter dem Stichwort der Fruchtbarkeit der Sakramente, Effekte haben, die weit über Rechtsfolgen hinausreichen.“[15] Probleme entstehen, wenn materiell nicht greifbare Wirkungen der liturgischen Handlung mit juridischen Methoden bearbeitet werden. Das ist hier der Fall, weil nicht die Verwendung unerlaubter Materie bestraft, sondern die geistige Wirkungslosigkeit der Liturgie aufgrund dessen vorausgesetzt werden, sodass zu Messintentionen der Vergangenheit erneut beziehungsweise erstmals gültig Messen zugeordnet werden müssen.

Historische und gegenwärtige Beispiele der Argumentation etwa mit Bibeltexten oder der Berufung auf Konzilsbeschlüsse implizieren, dass es keine vom Autoritätsargument unabhängige Begründung für die Verbindung von erlaubter Materie und geistiger Wirkung gibt. Im Horizont rechtlicher Überlegungen ist jedoch zwingend auf die Grenzen normativer Regelungen bezüglich der Sakramente mit den Worten Peter Huizings hinzuweisen:

„Vom Sakrament her erhält die Kirchenordnung ihr Dasein, ihre Eigenart, ihre Geltung und ihre Finalität; aber auch ihre Relativität: nämlich auf Grund der immer freien, niemals durch kirchliche Normen zu umfassenden Inspiration des Herrengeistes. Wo die Kirchenordnung diesen lebendigen Nährboden verliert, bleibt nichts als toter Formalismus übrig.“[16]

Die Bestimmung der Eigenschaften von erlaubtem Wein sind daher nicht streng, weil man weiß, dass nur mit erlaubtem Wein geistig fruchtbar Eucharistie gefeiert werden kann. Sie sind streng, weil man es nicht zufällig, sondern prinzipiell nicht wissen kann. Die Festlegung des Maßes an Sicherheit basiert nur auf kirchlicher Autorität. Das Maß ist nicht begründbar. Wenn aus biblischen Gründen Wein mit Holundersaft ungültige Materie ist, wäre im historischen Rückblick auch Weißwein unzulässig. Wer die Regeln einhält, affirmiert die Autorität des Gesetzgebers. Die Debatte um erlaubte eucharistische Materie ist eine Debatte um die Autorität dessen, der die Regeln festgelegt hat.

3) Aufgrund der Verhandlung kirchlicher Autorität im Hintergrund und der scholastischen Vorstellung, dass der Empfang der Eucharistie nicht heilsnotwendig ist, vermeidet man eine Argumentation aufgrund des Votum Sacramenti. Dennoch sind die Konsequenzen, vor die sich die Erzdiözese Kansas stellt, wenn sie ihr eigenes Urteil ernstnimmt, gewaltig. Es müssen jetzt – wiederum um sicher zu gehen und nicht weil man es wissen kann – viele Messintentionen nicht erneut, sondern erstmals zugeeignet werden.

Zusammen mit der kirchlichen Autorität steht der Glaube an die geistige Wirkung der korrekt gefeierten Eucharistie und an das System der Messintentionen auf dem Spiel. Der Streit um unerlaubten Messwein und die Zueignung von hunderten Messintentionen stellt ein global gesehen kleines Problem ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Die Erzdiözese verspricht das Problem zu lösen. Dabei hat die breite Veröffentlichung des Problems (und seiner Lösung) zwei Effekte. Einerseits baute man vermutlich auf eine Abschreckungswirkung der Veröffentlichung. Andererseits hat die internationale mediale Verbreitung einen weiteren Effekt. Wer sagt, dass hunderte Messopfer unwirksam waren, weil untauglicher Wein verwendet wurde, impliziert dass Millionen von Messen zugunsten der mit ihnen assoziierten Intentionen wirksam waren und sind. Anders gesagt: dass man Gott durch die Feier einer ungültigen Messe ausnahmsweise nicht dazu bringen kann, die mit ihr verbundene Intention zu erfüllen, setzt voraus und affirmiert, dass diese Wirkung normalerweise – bei Verwendung von korrekter Materie – eintritt. In Zeiten, wo die geistigen Wirkungen der korrekten Messefeier schwer vermittelbar sind, werden sie über den Umweg der Verurteilung eines minimalen Sonderfalls gestützt.

Als Theologe, der ein Kanonist auch immer ist, sei bezüglich dem Messstipendium auf die grundsätzlichen Schwierigkeiten mit dieser Institution verwiesen. Das Stipendienwesen wird in den cc. 945-958 CIC/1983 geregelt. Die zuständige Codex-Reformkommission beschäftigte sich zweimal mit der grundlegenden Infragestellung des Instituts. Man wolle den Anschein des Kaufs einer Messe vermeiden, doch wegen der angeblichen, weltkirchlichen Bedeutung für den Unterhalt des Klerus behielt man die Regelungen bei. Die Gründe für die Entscheidung der Konsultoren sind im Licht liturgiegeschichtlicher Daten einseitig bzw. fragwürdig.

Da geistige Wirkungen nicht beobachtet oder gar gemessen werden können, dient die Darstellung der Geschichte eines solchen Instituts der Legitimierung oder Delegitimierung. Seit der Spätantike gibt es Daten, aus denen man ökonomische Aspekte der Eucharistie erheben kann. Die Feier der Eucharistie musste nicht nur selbst durch Bereitstellung von Brot und Wein ermöglicht werden. Sie war auch Anlass zur Umverteilung von Gütern, wenn in ihrem Kontext Lebensmittel und später Geld gespendet wurde und zur Unterstützung des Klerus und der Armen aufgewendet wurde. Die theologische Deutung der gemeinsamen Bereitstellung von Gaben zur Feier selbst und darüber hinaus wurde als gemeinsame Anstrengung, als allgemeiner materieller und damit symbolischer Beitrag zum gemeinsamen geistigen Opfer gedeutet. Diese Institution und ihre Deutung erfuhr mannigfaltige Änderungen und kirchenrechtliche Fassungen. Wenn man die Entstehung des Messstipendiums aus der gemeinsamen Bereitstellung von Gaben entwickelt, stand bis zum 10. Jh. die Anteilnahme – das Mitopfern – am gegenwärtig gesetzten Opfer des Herrn in der Eucharistie im Vordergrund.[17] Es ging also der herrschenden Literaturmeinung nach historisch um den Gemeinschaftscharakter der Messe und nicht um den Unterhalt des Klerus oder einen privat-rechtlichen Anspruch auf die „Früchte der Messe“.

Legitimationsstrategien für das Messstipendium müssen mindestens die folgenden Aspekte der ökonomischen Geschichte der Eucharistie integrieren.[18]

An der Bereitstellung der Gaben für die Eucharistie waren in der Spätantike erstens Gläubige und Klerus beteiligt. Dass man im Lauf des Mittelalters die Laien vom Empfang der Brotkommunion weitgehend und der Weinkommunion vollständig ausschloss, die Quantität der Gaben minimalisierte und die Qualität immer strenger kontrollierte, erfordert(e) allerlei theoretische Konstruktionen, um immer noch behaupten zu können, die eucharistischen Gaben machten die Gemeinsamkeit des eucharistischen Opfers anschaulich.

Zweitens setzt die Diskussion um das Messstipendium und seine rechtliche Verfassung in Vergangenheit und Gegenwart voraus, dass es einzelnen Anliegen nützt, dafür Messen zu feiern und dass dieser Nutzen quantifizierbar ist. Es ist Priestern nicht erlaubt, eine Messe in mehreren Intentionen zu feiern. Noch am Vorabend der Promulgation des neuen Gesetzbuches schlug Matthäus Kaiser vor, der Priester müsse zunächst die Messe pro populo feiern und dabei dürfe er kein „privates“ Messstipendium annehmen (und sich dadurch zu einer anderen als dieser Widmung der Messe verpflichten).[19] Kaiser versucht damit die Auffassung zu bekämpfen, ein einzelner Mensch könne die Früchte der Messe für sich oder seine Angehörigen durch einen Handel erwerben. Der Ansatz hat sich nicht durchgesetzt.

Drittens veranschaulicht das Institut des Messtipendiums, dass die konkrete Beteiligung der Laien an der Messe (im Allgemeinen und an der Messe), für die die Intention übernommen wurde, überflüssig ist. Selbst die DBK folgt 1994 dem privat-rechtlichen Verständnis des Messstipendiums in ihrer Handreichung „Den Himmel kaufen?“ durch den Verweis, die Anwesenheit des Stipendiengebers sei wünschenswert, damit aber implizit nicht erforderlich. Durch die Weitergabe des Messstipendiums ist gesichert, dass die Anwesenheit der Spenderinnen und Spender zur Funktion des Systems überflüssig ist. Letztere müssen die Gewissheit haben, dass die Messe gefeiert wird, nicht wann, wo und von wem. Andernfalls könnte die Erzdiözese Kansas City nicht ohne die Ermittlung der Geberinnen und Geber der Stipendien die übernommenen Messapplikationen erfüllen. Die theologischen Konstruktionen von Vertreterverhältnissen sind unlauter, weil sie aus Notfällen den Normalfall legitimieren. Ein schwerkranker Mensch, dem die Feier der Eucharistie nicht mehr möglich ist, kann aus einer Vertreterlösung Kraft und Trost schöpfen. Wer an einer konkreten Messe teilnimmt, wird dort nicht zusätzlich durch den Priester vertreten.

Im Lauf der jüngeren Kirchengeschichte wurde viertens die Auffassung, dass sich auch Angehörige anderer Religionen der geistigen Macht katholischer Priester durch die Gabe eines Messstipendiums bedienen konnten, breit vertreten.[20] Der CIC legt bis heute nicht fest, dass Priester den geistigen Status von Spenderinnen und Spendern überprüfen müssen, bevor sie die Applikationsverpflichtung übernehmen. Darüber hinaus kann man im Internet Messapplikationen[21] beantragen. Die noch lange nach der Antike immer wieder praxiswirksame Vorstellung, dass das Bereitstellen einer konkreten Gabe zur Eucharistie die Gemeinschaft erfahrbar macht (sodass von der Teilnahme an der Eucharistie ausgeschlossene Christinnen und Christen, z.B. Büßerinnen und Büßer keine Gaben bereitstellen konnten), ist seit Jahrhunderten obsolet.[22]

Fünftens wird (zwar nur in Sonntagsmessen, dafür aber regelmäßig) die Symbolik der Gemeinschaft in der zu einer minimalen Geldgabe geschrumpften Handlung in der Kollekte angedeutet. Das Messstipendium unterscheidet sich erfahrbar von der sonntäglichen Kollekte. Auch in Kirchen, wo die Kollekte der zentrale Ort der Unterstützung der Kirche und der Sicherung der Mitgliedschaft ist, unterscheidet sie sich vom Messstipendium.

Aus diesen Beobachtungen ergibt sich, dass historische Daten in ihrer Vielfalt der Legitimation des Messstipendiums als kirchliches Institut der Gegenwart nicht dienlich sind. Insofern sind die oben angedeuteten, ökonomischen Begründungen der kirchlichen Institutionen zwar verzweifelt, aber ehrlicher als theologische Konstruktionen.[23] Das Messstipendium ragt als historischer Brauch in die gegenwärtige Praxis. Es soll beibehalten werden, obwohl es nicht begründet werden kann. Die Erzdiözese Kansas City stützt die Legitimität eines unbegründbaren Instituts durch das öffentlichkeitswirksame Eingeständnis eines Fehlers. Durch die Forderung, aufgrund eines minimalen Fehlers Messapplikationen nachzuholen, wird stillschweigend vorausgesetzt, dass das System mit seinem obsoleten, theologischen Begründungsapparat schlicht und einfach wirkt. Statt die Institution des Messstipendiums zu hinterfragen, werden Intentionen nachgeholt.

Die Ereignisse in Kansas City sind dennoch ein gegebener Anlass, um über die Angemessenheit des Messstipendienwesens und der theologischen Vorstellungen darüber, dass die Feier der Eucharistie einem menschlichen Anliegen bei Gott Nachdruck verleiht, nachzudenken. Wenn der offizielle Rechtfertigungsgrund der Unterhalt des Klerus ist, wäre es ein Gebot der Stunde, das Messstipendium abzuschaffen und dafür zu sorgen, dass Kleriker weltweit ein vernünftiges Einkommen haben. In Deutschland kann man das Institut des Messstipendiums ohnehin nicht im Unterhalt des Klerus sehen, weil letztere zu gering sind. Messstipendien werden aus anderen Gründen beibehalten. Es geht um die Angst vor der öffentlichen Diskussion der vagen Vorstellungen über durch das priesterliche Handeln vermittelter Einflussnahme auf Gott.

Kirchenrecht und Liturgiewissenschaft sollten sich daher im Sinn des Studiums eines historischen und heute obsoleten Paradigmas mit den Fragen des untauglichen Messweins beschäftigen. Wirkliches Potenzial für die Theologie liegt im durch solche Debatten wie in Kansas City Aufscheinen überkommener Paradigmen, die rational und theologisch fundiert überdacht werden sollten, um nicht die Anschlussfähigkeit an Gegenwartsdebatten zu verlieren.


[1] The Pillar, KC archbishop clarifies wine validity norms vom 5. Juni 2023, URL: https://www.pillarcatholic.com/p/kc-archbishop-clarifies-wine-validity [eingesehen am 5.07.2023].

[2] Heider, Benedikt, Bischof in Sorge: Jahrelang ungültige Messen wegen falscher Weinsorte, katholisch.de vom 16.06.2023; URL: https://www.katholisch.de/artikel/45550-bischof-in-sorge-jahrelang-ungueltige-messen-wegen-falscher-weinsorte [eingesehen am: 24.06.2023].

[3] The Pillar, KC archbishop (wie Anm. 1).

[4] Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentendisziplin, Instruktion Repemptionis Sacramentum vom 25. März 2004, Nr. 50.

[5] Vgl. Althaus, Rüdiger, Kommentar zu c. 924, in MK CIC, Rn. 2.

[6] Vgl. ebd., Rn. 3.

[7] Vgl. de Léon, Enrique, Kommentar zu c. 924, in: Exegetical Commentary, S. 639.

[8] Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentendisziplin, Rundbrief an die Bischöfe über das Brot und den Wein für die Eucharistie (Prot. N. 320/17) vom 15. Juni 2017, in: AAS 109 (2017), S. 857-859.

[9] Erzbischof von Paderborn, Verordnung über den Gebrauch von Wein bei der Eucharistiefeier (Messwein), in: KABl Paberborn 119 (1976), S. 80-84.

[10] Erzbischof von Paderborn, Gebrauch von Qualitätswein bei der Eucharistiefeier vom 22. Juli 2014, in: KABl Paderborn 157 (2014), S. 155.

[11] Vgl. URL: https://thefeiringline.com/legal-wine-additives-the-list/ [eingesehen am 5.07.2023].

[12] Vgl. The pillar, KC Archbishop (wie Anm. 1).

[13] Vgl. Althaus, Kommentar zu c. 924 (wie Anm. 5), Rn. 1.

[14] Vgl. Coetus studiorum de sacramentis, sessio VII vom 3.-7. Mai 1971, in: Com 31 (1999), S. 189- 240; hier S. 208: „Rev.mus quartus Consultor declarat quod signum sacramentale habetur in eo quod est alimentum fundamentale hominum. Hoc signum ex auctoritate Ecclesiae potest mutare secundum tempora et potest esse varium secundum varias regiones sed intra limites institutionis a Christo factae.“

[15] Neumann, Thomas, Recht und Ritual. Eine kanonistische Annäherung an den normativen Charakter der Liturgie, in: LJ 68 (2018), S. 109-126; hier S. 121f.

[16] Huizing, Peter, Die Kirchenordnung, in: Feiner, Johannes; Löhrer, Magnus (Hrsg.), Mysterium Salutis. Grundriss Heilsgeschichtlicher Dogmatik, Bd. IV/2, Einsiedeln 1973, S. 160.

[17] Vgl. Kaiser, Matthäus, Die applicatio missae pro populo in Geschichte und geltendem Recht, in AfkKR 130 (1961), S. 58-124; hier S. 67.

[18] Mörsdorf, Klaus, Erwägungen zum Begriff und zur Rechtfertigung des Meßstipendiums, in ders., (Winfried Aymans u.a., Hg.), Schriften zum Kanonischen Recht. Paderborn u.a. 1989, 499-581 versucht eine theologische Apologie für das Meßstipendium, referiert aber die Gegenargumente.

[19] Vgl. ebd., S. 124.

[20] Vgl. Mörsdorf, Erwägungen (wie Anm. 18), S. 511.

[21] Vgl. https://gemeinden.erzbistum-koeln.de/export/sites/gemeinden/seelsorgebereich_verbandsgemeinde_unkel/formular_messintentionen.pdf [05.09.2023]

[22] Vgl. Mörsdorf, Erwägungen (wie Anm. 18).

[23] Vgl. Schepers, Ludger, „Den Himmel kann man nicht kaufen …“ Anmerkungen zur Praxis der Messgabe, in: Althaus, Rüdiger u.a. (Hrsg.), Aktuelle Beiträge zum Kirchenrecht [FS Heinrich J. F. Reinhardt] (AIC 24). Frankfurt a.M. u.a. 2022, 249-267.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Unerlaubter Wein = ungültige Messe?! Kanonistische und liturgiewissenschaftliche Anmerkungen zu einer vermeintlich „simplen“ Gleichung“

  1. Mechthild Leise

    Wie kann es sein, dass sich Theologen / Bischöfe über ein solches Detail den Kopf zerbrechen?
    Egal welcher Wein, welches Brot: es geht doch um die Frage, wann und in welcher Form das Sakrament missbraucht wurde und wird: z.B. als Sanktionsmittel durch Ausschluss aus unterschiedlichen Gründen usw. Persönlich erlebte Beispiele dafür können bei Interesse gern nachgeliefert werden.
    Absurdistan ?

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