Die Begrifflichkeit geheim ist zwar nicht im Allgemeinen jedoch im Besonderen in Verruf geraten. Nämlich dann, wenn es sich um ein kirchliches Geheimarchiv wie gemäß cann. 489 und 490 CIC/1983 handelt. Wird im Allgemeinen ein Geheimnis und insbesondere ein Geheimnisträger in der Art eines Geheimrats geschätzt (es sei denn, derjenige entwickelt sich zum negativen Whistleblower) und möchte auch kein demokratisch gesinnter Mensch eine geheime Wahl anlässlich seiner Wahlausübung missen, so wird das in Zusammenhang vom obersten kirchlichen Gesetzgeber in jeder Diözesankurie verpflichtend einzurichtende Geheimarchiv nunmehr kritisch gesehen. Während andere „geheime Archive“ wie z. B. das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA) als gegeben angesehen werden, ist die von der Kirche ebenfalls verwendete und angewendete Form von Geheimarchiv in Misskredit geraten. Unter einem bischöflichen Geheimarchiv wird nicht mehr nur das einem Bischof allein zugängliche Archiv verstanden, wozu lediglich dieser Schlüsselgewalt besitzt (can. 490 §1 CIC) und wo die geheim zu haltenden Dokumente – wie Strafsachen in Sittlichkeitsverfahren (can. 489 §2 CIC) – mit größter Sorgfalt aufzubewahren sind (can. 489 §1 CIC). Vielmehr wird im Zusammenhang mit der heutigen Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in Kirche und Gesellschaft ein solches Geheimarchiv als ein Ort der Geheimniskrämerei also des Verschleierns, Vernebelns und Vertuschens angesehen. Aus einem vertrauten bzw. vertraulichen Aufbewahrungsort, so der Wortursprung des geheimen Archivs, ist – wie ein Geheimarchiv auch bezeichnet werden kann – die vor der Öffentlichkeit verborgene Örtlichkeit von dieser nun ein misstrauisch beäugter Ort voller Spekulationen geworden. Gemäß der von (deutschen) Rechts- und Staats-Anwälten immer wieder und gern wiederholten Vorwürfe lautet die (An-)Klage, dass in diesen Geheimarchiven unrechtmäßig Unterlagen vernichtet bzw. dass von dort nicht alle relevanten Akten der Staatsanwaltschaft übergeben wurden und werden, weshalb diese Geheimarchive sozusagen staatlicherseits zu kontrollieren seien. Dass in einem dem Bischof obliegenden Geheimarchiv auch Nachweise über die außerhalb der Beichte erteilte Dispens von einem geheimen Ehehindernis (can. 1082 CIC), das Buch mit dem Verzeichnis von geheimen Eheschließungen (can. 1133 CIC) und beurkundete Schriftstücke, die eine Mahnung oder einen Tadel enthalten (can. 1339 §3 CIC), aufzubewahren sind, wird dabei gern übersehen.
Auf weitere Ausführungen zu Inhalt, Beschaffenheit, Nutzung sowie Aufbewahrungsfristen und (rechtmäßig vorzunehmender) Kassation von Material des Geheimarchivs muss an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden; hierzu sei auf die von Prof. Dr. Peter Platen und von Prof. P. Dr. Stephan Haering OSB erstellte Handreichung zum Geheimarchiv der Kurie, enthalten in der von der DBK herausgegebenen Arbeitshilfe Nr. 142 Die pastorale Funktion der kirchlichen Archivevon März 2016, verwiesen.
Auch auf die Thematik, wenn die im Jahr 2013 vom Verband der Diözesen Deutschlands und von jedem deutschen Diözesanbischof in Kraft gesetzte Anordnung über die Sicherung und Nutzung der Archive der katholischen Kirche (Kirchliche Archivordnung – KAO) mit dem dort enthaltenen Löschungssurrogat[1] schon eher in Kraft getreten wäre und bei konsequenter Anwendung dieser Bestimmungen (KAO §2; §6 [5] und [6]) so manches öffentliche Ärgernis verhindert hätte werden können, soll hier ebenfalls nicht näher eingegangen werden.
Denn sei es wie es sei: Aufgrund des in Verbindung mit Kirche negativ assoziierten Begriffs Geheimarchiv hatte bereits Papst Franziskus mit einem Apostolischen Schreiben vom 22. Oktober 2019 den jahrhundertealten Titel Vatikan Geheimarchiv (Archivum Secretum Vaticanum) in Vatikanisches Apostolisches Archiv umbenennen lassen. Es ist dabei verwunderlich, dass sich der oberste Gesetzgeber mit dieser Namensänderung seinerseits bemühte, die Fehlinterpretationen hinsichtlich seines Archivs, die durch die Verwendung des Begriffs „Segreto“ (Geheimnis) entstanden waren[2], auszuräumen, diese Namensänderung aber nicht für die untere Ebene – also die bischöflichen Geheimarchive – vornahm, zumal diese ebenfalls wegen dieser Begrifflichkeit und der damit verbundenen Fehlinterpretation in Kritik stehen.
Aus diesem Grunde sollte als erster, schnell umzusetzender Schritt der im geltenden CIC verwendete Begriff Geheimarchiv unter Beibehaltung der dortigen Regelungen umgeändert werden in Bischofsarchiv (persönliches Archiv des Bischofs). Aus dem archivum secretum sollte ein archivum episcopi werden und neben dem diözesanen Verwaltungsarchiv (archivum seu tabularium dioecesanum [can. 486 §2 CIC] – im Fachjargon auch Registratur genannt) und dem historischen Archiv (archivum historicum [can. 491 §2 CIC] – dem eigentlichen Diözesanarchiv) seinen Bestand haben. Die Wortänderung in Bischofsarchiv dürfte zwar keinen Einfluss auf deren inhaltliche Kritik haben, jedoch eine sofort damit verbundene Fehlassoziation vermeiden helfen.
Ein zweiter Schritt – der wünschenswerter Weise auch sofort umzusetzen wäre – könnte und sollte dann natürlich darin bestehen, eine inhaltliche Änderung von can. 489 §2 CIC vorzunehmen. Dass dann „die Akten der Strafsachen in Sittlichkeitsverfahren, deren Angeklagte verstorben sind oder seit einem Jahrzehnt durch Verurteilung abgeschlossen sind“ und wovon nur „ein kurzer Tatbestandsbericht mit dem Wortlaut des Endurteils“ aufzubewahren ist, eben nicht generell zu vernichten sind, sondern dass es diese Unterlagen unter Einführung eines Löschungssurrogats in die sichere Aufbewahrung des jeweiligen Diözesanarchivs zu überführen gilt. Damit könnte dann wirklich jeder Kritik hinsichtlich eines vormals so benannten bischöflichen Geheimarchivs „der Wind aus den Segeln“ genommen werden.
Lic.iur.can. Daniel Lorek, Magdeburg
[1] Akten gelten als kassiert bzw. gelöscht, wenn sie dem zuständigen Archiv angeboten und von diesem bei Übernahme sicher aufbewahrt werden.
[2] Vgl. https://www.thevaticantickets.com/de/vatican-archives/ – Zugriff am 13.07.2023.
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