Apostolica Sedes Vacans – Kanonistische Erwägungen zur anstehenden Papstwahl

Der König ist tot, es lebe der König! Dieser aus europäischen Monarchien bekannte Leitspruch erfasst die Komplexität und mystische Tiefe der Papstwahl in keiner Weise.
Es gilt: Der Papst ist tot – sede vacante!
Im Vatikan gibt es keine Erbfolge noch auserkorene Kandidaten, die natürliche Prätendenten auf den Papstthron wären, auch wenn zuweilen medial manche Namen „hoch als papabile gehandelt“ werden. Mit dem Tod des Papstes ist der Stuhl Petri unbesetzt und die Regierung nicht mehr vorhanden. Alles Handeln im Zentrum der katholischen Kirche ist in den Tagen nach dem Tod des Papstes auf die Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Pontifex und das Konklave zur Wahl eines Nachfolgers ausgerichtet. Das Konklave muss 15 Tage bzw. höchstens 20 Tage nach dem Tod des Papstes zusammenkommen und mit der Wahl beginnen. Anders als bei Teilkirchen hat die Vakanz ein absehbares Ende.
Die Regelungen zur Papstwahl finden sich in der gesonderten Papstwahlordnung Universi Dominici Gregis (UDG) am 22. Februar 1996 von Papst Johannes Paul II erlassen und zuletzt am 22. Februar 2013 durch Papst Benedikt XVI. geändert. Dieses Gesetz in der Form einer Apostolischen Konstitution ist derart umfänglich, dass sich der Gesetzgeber dafür entschieden hat, diese Materie weiterhin außerhalb des Codex Iuris Canonici zu behandeln. In c. 335 CIC/1983 wird lediglich auf die besonderen für den Fall der Vakanz erlassenen Gesetze verwiesen.
Drei Aspekte erscheinen mir hinsichtlich der Papstwahl kanonistisch bedenkenswert: die Leitung der Kirche während der Vakanz (1); die Freiheit von innerkirchlichen und säkularen politischen Abwägungen (2) und die mystische Dimension, die sie von politischen Wahlen unterscheidet (3).
(1) Die Leitung der Kirche während der Vakanz
Im Gegensatz zu einem Diözesanadministrator einer vakanten Teilkirche gibt es im Vatikan keinen Übergangsleiter, der mehr oder weniger das Alltagsgeschäft weiterführt, bis ein neuer Diözesanbischof ernannt ist. Der Administrator verfügt gemäß c. 427 § 1 CIC/1983 über die Vollmacht eines Diözesanbischofs.
In der ersten Nummer von UDG wird klargestellt, dass das Kardinalkollegium keinerlei Vollmacht oder Jurisdiktion in jenen Fragen habe, die zu Lebzeiten dem Papst vorbehalten waren. Zwar dürfen die ordentlichen Angelegenheiten erledigt und gewichtige Fragen, die keinen Aufschub dulden, vom Kardinalskollegium entschieden werden, die Vollmacht des Kollegiums erscheint jedoch im direkten Vergleich mit den Kompetenzen eines Administrators einer vakanten Teilkirche deutlich beschränkter.
Die Fragen von geringerer Bedeutung können durch die Sonderkongregation der Kardinäle erledigt werden, die aus dem Kardinal mit dem Amt des Camerlengos und drei weiteren wahlberechtigten Kardinälen besteht, die alle drei Tage erneut in der Generalkongregation aller wahlberechtigter Kardinäle ausgelost werden (Nr. 7 und 8 UDG). Hierdurch wird die Administration während der Vakanz nicht in die Hände einer einzelnen Person gelegt und eine Konzentration der Macht auf einer oder nur wenigen Personen vermieden. Alle Präfekten der Dikasterien der Römischen Kurie verlieren mit dem Tod des Papstes ihr Amt (Nr. 14 UDG). Lediglich die Sekretären der Dikasterien sowie der Substitut des Staatssekretariates behalten ihre Ämter, allerdings dürfen die Dikasterien nur Gnadenerweise von geringerer Bedeutung während der Vakanz erteilen, alle anderen Handlungen sind untersagt (Nr. 25 UDG). Der Großpoentitentiar als Leiter des „Gnadenhofes“ sowie die Gerichte der Rota Romana und der Apostolischen Signatur erledigen ihre Judikatur jedoch während der Vakanz weiterhin in ordentlicher Weise (Nr. 26 UDG).
Es wird folglich deutlich, dass die Kirche ohne Haupt ist und auch niemand – weder eine einzelne Person noch ein Kollegium – als Übergangsleiter an die Stelle des Papstes tritt. Lediglich Gnadenerweise sind weiterhin möglich. Die einzelnen Kompetenzen der Kardinalskongregationen und auch des Camerlengo sind einzig und allein auf die Beisetzung des verstorbenen Papstes und die Vorbereitung und Durchführung der Papstwahl ausgerichtet.

(2) Die Freiheit von innerkirchlichen und säkularen politischen Abwägungen
Die wahlberechtigten Kardinäle sollen bei der Wahl einzig Gott vor Augen haben und das Heil der Seelen bedenken, wie es Papst Johannes Paul II. in der Einleitung zur Papstwahlordnung formuliert. Bestärkt wird dies durch den zu leistenden Eid jeden Wählers bei der Abgabe des Stimmzettels: „Ich rufe Christus, der mein Richter sein wird, zum Zeugen an, dass ich den gewählt habe, von dem ich glaube, dass er nach Gottes Willen gewählt werden sollte.“
Diese Freiheit der Wahl wird durch mehrere Bestimmungen abgesichert: An erster Stelle ist die Freiheit von politischer Einflussnahme weltlicher Mächte zu nennen (Nr. 80 UDG). Ein Vetorecht zum Ausschluss eines bestimmten Kandidaten, wie es z. B. dem österreichischen Kaiser bei der Papstwahl 1903 zugestanden wurde, ist explizit verboten. Innerkirchlich sind jedwede Absprachen, Verträge oder Verhandlungen die die absolute Freiheit der Wahl einschränken könnten verboten. Personen die solche Verpflichtungen eingehen, trifft die Exkommunikation latae sententiae (Eintritt der Strafe mit Vollendung der Handlung ohne Richterspruch). Ebenfalls werden Wahlkapitulationen (Wahlversprechen) verboten, auch wenn diese nicht explizit mit der Exkommunikation bewährt sind (Nr. 82 UDG). Auch sollen sich die Kardinäle nicht von Sympathien oder Antipathien oder persönlichen Beziehungen bei der Wahl leiten lassen, sie sollen einzig frei vor Gott zum Wohl der Kirche ihre Wahlentscheidung fällen (Nr. 83 UDG). Die hypothetische Möglichkeit der strategischen Ausübung von Druck bei der Wahl beseitigte Papst Benedikt XVI. durch die Änderung der Nr. 75 UDG im Jahr 2007: theoretisch wäre es zuvor möglich gewesen einen Kandidaten, der nur die absolute, aber nicht die 2/3-Mehrheit der Stimmen hinter sich vereinen konnte, im 34. Wahlgang durchzusetzen oder die Wahl durch die Aussicht auf 33 erfolglose Wahlgänge zu verkürzen und so eine 2/3-Mehrheit durch die Androhung eines langen Konklave zu erhalten.
Die innere Freiheit des Wählerkreises wird zusätzlich durch die Isolation während des Konklaves geschützt. Vor dem Hintergrund der technischen Möglichkeiten und der zahlreichen medialen Kanäle ist es eine besondere Herausforderung die Kardinäle von allen Medien (Zeitungen, Radio, Fernsehen, Social Media) abzuschotten (Nr. 57 UDG). So wird das Konklave zu einer eigenen „Welt“ im Zwiegespräch mit Gott, losgelöst von der medialen Umwelt. Wähler, die diese Geheimhaltung brechen, trifft gemäß der 2013 durch Papst Benedikt XVI. geänderten Nr. 55 UDG die Exkommunikation latae sententiae.

(3) Die mystische Dimension, die die Papstwahl von politischen Wahlen unterscheidet
Die beschriebene Abgeschiedenheit des Wahlkollegiums deutet bereits auf die „mystische“ Dimension der Papstwahl hin. Die Zeit nach dem Tod des Papstes und die Wahl seines Nachfolgers ist nicht nur in liturgische Feiern eingebettet, sondern selbst Liturgie, also die Ausübung des priesterlichen Dienstes Jesu Christi zur Heiligung der Menschen (c. 834 § 1 CIC/1983).
Der Beginn der Wahlhandlungen ist die Votivmesse Pro eligendo Papa (Nr. 49 UDG) nach Abschluss der Trauerfeierlichkeiten. An diese Messe schließt sich die Prozession der wahlberechtigten Kardinäle zur Sixtinischen Kapelle an, unter Anrufung des Heiligen Geistes mit dem Gesang Veni Creator (Nr. 50 UDG). Darauf folgt der Eid der Wahlberechtigten gemäß Nr. 53 UDG.
Hieran wird deutlich, dass nicht Wahlprogramme einzelner Kandidaten – die den verbotenen Wahlkapitulationen entsprechen – oder Sympathien und Antipathien die Wahl leiten, sondern das Gebet. Politische Wahlen sind von der Auseinandersetzung der Kandidaten geprägt, jedoch gibt es bei der Papstwahl weder die designierten Kandidaten noch den Wahlkampf, beides ist wie oben ausgeführt untersagt. Es geht nicht um einzelne Personen, sondern um das Ganze, die Kirche, das Heil der Seelen.
So sind es auch nicht die wahlberechtigten Kardinäle die während der Generalkongregationen und dem Konklave „Ansprachen“ halten bzw. Wahlprogramme vorstellen, sondern zu Beginn der Generalkongregationen müssen zwei weise und erfahrende sowie moralisch integre Kleriker benannt werden, die dem Wahlgremium Betrachtungen über die Probleme der Kirche und die Papstwahl vortragen (Nr. 13 d UDG). Von außerhalb des Wählerkreises werden die Probleme und die Herausforderungen für die Kirche erläutert. Es wird aufgezeigt, was die Kirche benötigt und wie sie ihren Auftrag erfüllen kann. Diese Betrachtungen erfolgen einmal an einem Tag vor dem Beginn des eigentlichen Konklave und die zweite direkt vor dem Beginn der Wahl in der Sixtinischen Kapelle. Folglich sind es nicht Wahlkämpfer oder Analysten, die für die jeweiligen Kandidaten ein Wahlprogramm erarbeiten, sondern es sind zufällig ernannte Kleriker, die über die Lage und die Notwendigkeiten der Kirche berichten.
So wird die Papstwahl als liturgische Feier zu einem wirklichen Mysterium, das unvergleichbar mit politischen Wahlen ist. Auch wenn sich nach der Wahl die höchste Macht in der Kirche im neuen Papst konzentriert, ist seine Wahl vom Hören auf Gott und den Bedürfnissen der Kirche geprägt.
Natürlich könnte spekuliert werden, wer der neue Papst wird, aber hat wirklich jemand mit dem Papst „vom Ende der Welt“ im Jahr 2013 gerechnet? Theoretisch könnte jeder katholische Mann Papst werden, auch wenn zuletzt 1378 mit Papst Urban VI. ein Mann außerhalb des Kardinalskollegiums Papst wurde und 1831 mit Papst Gregor XVI. der letzte Kardinal, der nicht Bischof war, gewählt wurde.
Zusammengefasst: Das Gesetz zur Papstwahl soll garantieren, dass die Wahl frei von politischen Ränkespielen ist und allein vor Gott das Heil der Seelen vor Augen habend die wahlberechtigten Kardinäle entscheiden. So ist die Papstwahl bei aller möglichen rechtlichen und teilweise medial-politischen Analyse ein bleibendes Mysterium, das eine immense Strahlkraft in die Welt hat.


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